Stärker denn je ist aktuell die Transformation des Megatrends Individualisierung zu beobachten. Nach neuen sozialen Bewegungen – wie beispielsweise Fridays For Future – zeigt aktuell die Corona-Krise, dass die Gesellschaft in ihrer Individualität wieder gemeinsam als “Wir” Verantwortung für die Zukunft übernimmt.

Vom Ich zum Wir

Kein Megatrend hat Gesellschaft derart verändert wie jener der Individualsierung. Dass Menschen heute ihre Leben nahezu jenseits aller demographischen Daten frei gestalten können, ist eine direkte Folge. Alter, Geschlecht, Einkommen, Herkunft spielen für die eigene Lebensgestaltung immer weniger eine Rolle. Die Folgen sind eine Multioptionsgesellschaft und eine Superdiversität.

Aus der Ausdifferenzierung heraus wächst gleichzeitig aber auch eine neue Sehnsucht nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Das Korsett gesellschaftlicher Regeln vergangener Jahrzehnte war eng und unfrei, gab aber ein Stück Stabilität und einen Platz. Jener Halt, jene Verbundenheit muss heute anders hergestellt werden, wird häufig in informellen, temporären Gruppen gefunden, die einen unisonen Lebensstil pflegen.

Glocales Engagement und Übernahme von Verantwortung

Aus dem Ausleben primär eigener Interessen heraus entwickelt sich jedoch zunehmend ein neues Engagement für das System. System im Sinne von gesellschaftlichem Konstrukt, aber auch im Sinne von Umgebung. Ein Blick in den Arbeitsethos des MT “New Work” ist dabei bereits aufschlussreich: Kollaboration statt Konkurrenz wird zunehmend zum selbstverständlichen Alltag einer neuen Generation an Machern, Denkern und Entrepreneuren. Als Beispiel: Jedes vierte sich in der EU neu gründende Unternehmen ist ein Sozialunternehmen.

Aber erst der fortschreitende Klimawandel war der Anlass, dass global jenes neue Selbstverständnis für die breite Bevölkerung sichtbar wurde. Und diese herausforderte und weiter herausfordern wird. Eine Schülerschaft, die gemeinsam für Ihre Zukunft streikt. Die bereit ist, persönliche Opfer zu bringen, einem höheren Zweck dienend. Das provoziert die Alt-Individualisten.

Physical distancing, social interaction

Corona zeigt aktuell eine ähnliche Entwicklung. Aus der Isolation heraus entwickelt sich ein neues Gemeinschaftsgefühl. Gesellschaftliche Ächtung der letzten Superindividualisten inklusive. Der common sense ist: Netzwerk, Kooperation und Wir – aber mit nötiger Distanz. Von Nachbarschaftshilfen bis Mutmachaktionen und lautstarken Dankbarkeitsbekundungen reichen die oft virtuell geteilten Initiativen. Wer seine persönlichen Freiheiten aktuell über das Gut der Allgemeinheit stellt, wird auf sozialen Medien stigmatisiert.

Die Situation ist derzeit eine besondere. Doch die Situation schafft neue soziokulturelle Auswirkungen, die lange über die Pandemie hinaus die Gesellschaft bestimmen werden. Die Krise wird zeigen, dass sie aber genau jene ausdifferenzierte Gesellschaft von Individuen benötigt, die mit ihren interdisziplinären, vernetzten, generalisierten Denken “Wir” Strategien entwickeln, die herausfordernden Zukunftsaufgaben zu bewältigen.

Die Individualisierung wird erwachsen

Somit ist der Megatrend Individualisierung mit der Folge der Superdiversität die Voraussetzung für eine neue, gestaltende Wir-Gemeinschaft. Es ist kein “Zurück” in reaktionäre Rollen, sondern ein kollaboratives Miteinander, das über Grenzen (bildlich wie wortwörtlich) das Morgen gestaltet. Aus den Utopisten werden plötzlich die Realisten. Und es wird wieder schick sein, Werte nicht nur zu definieren, sondern auch nach ihnen zu handeln. Der Megatrend wird sich verändern. Wobei es nicht um die Aufgabe von Freiheiten geht, sondern um einen neuen Diskurs, welchen Regeln und Werten sich Gesellschaft verschreibt. Die Individualisierung wird erwachsen.