Seit Wochen beschäftigt mich die Frage, welchen Einfluss der Krieg gegen die Ukraine auf den Megatrend Gender Shift hat. Beobachten lässt sich, wie sehr der Krieg Geschlechterstereotype fördert und auch herausfordert.
Es werden die alte Geschichte erzählt: Männer ziehen in den Krieg. Jene in der Ukraine dürfen das Land nicht verlassen, sondern sollen/müssen verteidigen und kämpfen – im Kontrast zu Frauen und Kindern. Die Rollen scheinen klar: Männer sind die das Land schützende Helden. Die fliehenden Frauen und Kinder die traumatisierten Opfer, die besonders schutzlos sind. (Und ja, sie sind eine vulnerable Gruppe aufgrund existenter gesellschaftlicher Strukturen. Es macht sie nur nicht per se zu Opfern.)
Der Krieg bedient auf den ersten Blick eine Menge alter Konzepte. Doch inwieweit fördert der Krieg sie und verhilft ihnen zu einem neuen Aufleben? Oder ist er der Anstoß für einen Demokratisierungsschub, der eine Wertekultur etabliert, in der Menschen unabhängig von Geschlechtszuschreibungen gleichwertig sein dürfen?
Sie tauchen zunehmend auf, die Nachrichten über die Grau- und Bunttöne im Krieg. Berichte über Transfrauen und die Nicht-Akzeptanz von nicht-gender-stereotypen Flüchtenden. Oder die vermehrten Berichte über Ukrainer, die lieber das Land verlassen würden. Die Verletzlichkeit der Männer. Ihre Angst vor dem Krieg und der Gewalt.
Es zeigt, wie sehr die alten Strukturen und die sich verändernden Geschlechterkulturen aufeinanderprallen. Ist der Krieg ein Akt patriarchaler, undemokratischer Herrschafts- und Machtstrukturen? Der Ruf nach einer feministischen (Außen-)Politik wird laut. Feminismus wird dabei nicht als Konzept des “Weiblichen”, sondern als eine andere Perspektive auf Ungleichheit verstanden. Feminismus ist dabei keine Frage von Geschlechtszugehörigkeit oder -identität, sondern ein Stück mehr Demokratie für Alle.
Es bleibt zu beobachten, wie sich der Krieg und die medialen, wie gelebten Genderstereotype auf den Megatrend weiter auswirkt. Entscheidend werden hier die kommenden Entwicklungen in osteuropäischen Ländern sein. Die dort mächtigen, rechts-konservativen Strömungen haben in den vergangenen Jahren eher einen Kampf gegen jede Gender Diversity geführt. Der Krieg könnte für Rückschläge sorgen, aber er könnte auch einen Demokratisierungsschub auslösen, in dem “Geschlecht” gleichzeitig weniger Aufmerksamkeit und dafür mehr Akzeptanz erfährt.
Weltweit sind sie zu beobachten, die kleinen, aber mächtigen Signale, die zeigen, dass der Megatrend Gender Shift trotz Rückschlägen berechtigte Vitalzeichen hat.