Konsum sei künftig das neue Cholesterin, prophezeite 2011 der brasilianische Trendforscher und Entrpreneur Rony Rodrigues von Box1824 auf der International Herald Tribune’s Luxury Konferenz. Meint: Das Image von Besitz wird entsprechen unattraktiv wie ein zu hoher LDL-Wert. 2021 sei es völlig unattraktiv im Schrank 200 Paar Schuhe zu haben, so Rodrigues. In diesen Kanon stimmen seit Jahren Markt- und auch Zukunftsforscher ein. Ich nehme mich da nicht aus. Doch was aus Perspektive der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung so positiv klingt, ist nur die halbe Wahrheit.
Der Konsumtrend heißt Zugang statt Besitz
Es ist nicht der Konsum, der die künftige Generation an schlechte Blutfette erinnert, sondern der Besitz von Objekten.
Die Neo-Ökologie ist ein Megatrend, H&M hat Bio-Baumwolle, China konnte im Juni 2017 eine ganze Woche lang den Strom für die 5,6 Millionen Einwohner der Provinz Qinghai ausschließlich erneuerbaren Energien bestreiten. (Link)
Die Generation der Millennials/ Generation Y sowie ihre Nachfolger (mal Gen Z, mal Post-Millennials oder von der GfK iBrains genannt) gelten als neue Konsumverweigerer. Besitz ist für sie nicht attraktiv. Immer weniger junge Menschen machen in den westlichen Industrieländern einen Führerschein, die Käufer von Autos bleiben aus – zum Leidwesen der Automobilindustrie.
Konsumverweigerung oder -verlagerung?
Gleichzeitig scheint der Konsum dennoch allgegenwärtig und präsent, jedes Jahr entstehen neue Einkaufszentren, insgesamt gab es laut EHI Retail Institut im Jahr 2016 476 Stück in Deutschland. Rund zehn Jahre zuvor (2015) waren es über 100 weniger (363 Stück). Zugegeben sagt das noch nichts über die tatsächliche Nutzung aus. Leerstand ist laut Handelsblatt (24.05.2017, “Die fetten Shopping-Jahre sind vorbei“) in vielen der rund 500 Zentren deutschlandweit kein Einzelfall. Ein Grund könnte hierfür sicherlich ein bewussterer Konsum sein, ein anderer jedoch sicherlich auch der zunehmende Internethandel.
Dass Verbraucher bewusster einkaufen lässt sich seit Jahren beobachten. Der Wunsch nach Transparenz und Rückverfolgbarkeit wächst zunehmend, die Sensibiltiät für recycelte Stoffe in Neuwaren ebenso. Re-Sell-Plattformen wie Kleiderkreisel boomen und prinzipiell lässt sich auch alles beim Riesen Amazon gebraucht verkaufen – und natürlich kaufen. Von Ebay, Kleinanzeigen, ReBuy uswusf ganz zu schweigen. Nachbarschaftsnetzwerke bilden sich ebenfalls online, über die verkauft, vermietet oder verliehen wird. Der Konsum verschwindet nicht, sondern wechselt nur die Orte, auf denen er stattfindet sowie die Materialien. Gebraucht ist längst nichts mehr für Arme, sondern eher eine Auszeichnung für den Käufer.
Eine neue Generation an bewusst lebenden Menschen sorgt mit ihrem Kaufverhalten jedoch auch für neue Konsummärkte. Ethisch und ökologisch korrekt sowie gesund soll es sein. Nicht nur bei Produkten wie Kleidung oder Accessoires (alles andere wie Auto, Wohnung und künftig auch Möbel werden ja sowieso nur noch geliehen), sondern auch bei der Ernährung. Avocado, Quinoa oder Kokosnuss boomen als Zutaten gerade bei jenen, die man der bewusst konsumierenden Lebensstilgruppe zuordnen kann. Lebensmittel welche häufig alles andere als “gut” sind, vor allem für die Anbauer in den Herkunftsländern der Produkte (Vlg. z.B. The Guardian, 12. Juli 2017, “High-fat oil and low-paid farmers: the cost of our coconut craze“. ).
Konsumtrend: Gutes Gewissen
Es ist also ein widersprüchlich erscheinendes Phänomen: Es wird achtsamer konsumiert, stattdessen über Sharing-Plattformen geliehen oder gebraucht gekauft. Gleichzeitig erlauben solche Plattformen dem Verbraucher aber auch einen gewissen Konsum ohne schlechtes Gewissen (“es bekommt ja ein zweites Leben, wenn ich es wieder verkaufe”) und nicht zuletzt innovative Lösungen der Hersteller dienen ebenfalls dem schuldfreien Einkauf. Und gleichzeitig gibt es Entwicklungen, die für den Verbraucher achtsam klingen, es im Endeffekt aber nicht immer sind.
Ich bestreite, dass Konsum heute das Image von Cholesterin hat und vermieden wird. Konsum findet weiterhin statt, er verändert sich nur radikal: in eine sicherlich auch nachhaltigere Richtung, aber er wird auch durch das Bedürfnis der Gen X oder Gen Z nach höchster Flexibilität, Mobilität und Freiheit geprägt. Fakt ist: Wenn etwas gekauft wird, dann muss es gut, besonders, speziell sein. Besitz hingegen – das ist das neue Cholesterin!
Beitragsbild Quelle: Flickr, Scoobay, CC BY-SA 2.0